1 Jahr ohne Smartphone – Ein Bericht
Am 10.August 2021 entschloß ich mich dazu, mit meinem Smartphone Schluß zu machen. Und nein, ich lebe nicht auf einem Einsiedlerhof auf der Alm, wo diese Entscheidung vielleicht kein Unterschied machen würde, sondern mitten in Berlin. Ich führe eine Coachingagentur mit über 30 Mitarbeitenden, bin Co-Founderin eines Tech Startup (von den Gründern von meetup.com) in den Staaten und dazu noch alleinerziehende Mutter. All das um zu sagen, dass die Vorzüge eines Smartphones auch und gerade für mich Sinn machen würden und es bisher auch getan haben. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich auch einfach weiter gescrollt.
Am Abend des besagten 10.Augusts bringe ich meine Tochter ins Bett habe und liege mit dem Rücken zu ihr, heimlich auf Instagram scrollend. Plötzlich höre ich meine dreijährige Tochter in die Dunkelheit sagen: “Mama, du starrst immer auf deinen Bildschirm!”. In ihrer Stimme liegt kein Vorwurf, mehr eine genaue Beobachtung. Die Scham, die ein Erwachsener vor einem Kind fühlen kann, ist ein ganz bestimmtes, eine schneidendes Gefühl. Mich hat es am selben Abend dazu gezwungen, mein Verhalten als das eines Süchtigen zu erkennen und mich für den Entzug zu entscheiden. Einfach „digital Detox“ zu machen erschien mir nicht ausreichend angesichts der mir nun zu Bewusstsein kommenden Schwere meiner Abhängigkeit.
Als erstes löschte ich Instagram, die Hauptdopamin-Quelle meines Smartphones. Als nächstes kaufte ich mir ein altes Nokia Telefon und begann meine Sim Karte zwischen den beiden Telefonen hin und her zu schieben. Nach ein paar Monaten entdeckte ich dann die Firma Punkt – eine zeitgemäße Version des analogen Telefons, die eine gute Tonqualität bietet.
So probierte ich ein paar Stunden draußen ohne Smartphone, musste aber beim zurückkommen schnell wieder das Smartphone anmachen. Nach knapp zwei Wochen wurde mir dieses hin und her zu anstrengend, ja auch zu lächerlich, sodass ich die Simkarte nun ganz im nicht-digitalen Handy ließ und mein Smartphone sicherheitshalber einer Kollegin schenkte. Zu dem Zeitpunkt war ich noch zu idealistisch, um Geld für mein Suchtmittel haben zu wollen. Die Abkehr stand ganz im Zeichen höherer Ziele. Für mich war die Planung auf das Leben ohne Smartphone ein wenig wie das Planen der eigenen Beerdigung. Wie lässt man Leute wissen, dass man bald nicht mehr digital stattfinden wird?
Bis zu dem Entschluß griff ich morgens als erstes zum Smartphone, um mich in der Welt zu orientieren: Wie ist das Wetter draußen? Was ist politisch los? Wer hat mein letzten Post noch über Nacht geliked? Wie viele ungelesene E-mails warten auf mich? – Wie also orientiert man sich denn in einer Welt ohne Smartphone?
Navigieren ohne Smartphone
Da ich kein eigenes Auto habe und gerne die Carsharing Angebote nutze, um Ausflüge an abgelegene Seen zu machen, entschied ich mich dazu, mein Tablet als “Schlüssel” für diese Gelegenheiten zu nutzen. Das Tablet ist groß genug, dass ich es nicht anstelle eines Smartphones im Alltag benutzen würde und so erlaubte ich mir dieses Schlupfloch für Ausflüge. Für den Verzicht von Google Maps für Strecken in der Stadt, die ich mit dem analogen Telefon und der Bahn machte, musste ich mich eines anderen Tools bedienen: Meines Langzeitgedächtnisses. Wir leiden wohl alle an einer digitalen Amnesie und können uns nicht mehr die einfachsten Wege, Namen oder Nummer-Abfolgen merken. Bevor ich irgendwo hinfahre, schaue ich mir mir den Weg nun genau an, schreibe mir vielleicht noch ein zwei Straßennamen auf und falls ich dann doch “lost” bin, frage ich einfach jemanden. Hier ist allerdings Vorsicht geboten, weil Smartphonebesitzer weitgehend die Fähigkeit verloren haben, jemanden den Weg zu weisen. So muss man selbst auf den fremden Bildschirm schauen und sich mit den Himmelsrichtungen wieder vertraut machen.
Kommunizieren ohne Smartphone
Zu Beginn hatte ich eine handvoll Namen in meinem Adressbuch. Das war erleichternd und ernüchternd zugleich. Bis dato folgten mir einige Tausend Menschen online und reagierten auf meine Gedanken und Erfahrungen. Doch die erste SMS von meiner guten Freundin zu lesen “schön, dass es Dich gibt <3” landete besser bei mir als all die Herzen unter meinen Posts, an die ich mich gewöhnt hatte. Denn mir blieb nichts anderes übrig, als die Nachricht einfach zu lesen. Ich konnte nicht weiterklicken, keine öffentliche Antwort verfassen oder mich an den Impressions weiden.
Termine, Planen und andere nützlichen Dinge
Meine Termine schreibe ich einen Wochenplaner im A5-Format. Ich werde auch über Google Kalender per Computer zu Dingen eingeladen, übertrage diese dann aber auch in meinen analogen Kalender. Zu Beginn des Tages schlage ich diesen auf und sehe, was mich erwartet. Das gibt mir auch einen Moment, um mich auf meinen Tag vorzubereiten.
Natürlich gibt es jene Momente, wo es trotz achtsamer Planung nicht glatt läuft. Letztens hatte ich Besuch aus den Staaten und wir wollten in einen Club gehen. Wir waren davor noch in einer Teststation, wo wir unsere E Mail Adressen angegeben haben. Direkt vorm Club versuchte ich mich dann vergebens vom Handy meines Freundes in meinem Postfach einzuloggen. Google verweigerte dem fremden Gerät beflissen den Zugriff. So war für mich der Abend an der Tür vorbei. Im Taxi auf dem Weg nach Hause musste ich schmunzeln: mit diesem gelegentlichen Verzicht kann ich leben.
Am meisten fehlt mir die Kamera in der Hosentasche. Zwischenzeitlich habe ich es mit einer analoge Kamera versucht, aber finde es lästig, diese immer dabei zu haben. Und oft sind es ja die spontanen Schnappschüsse, die uns wichtig sind. Andererseits mache ich so auch nicht von jedem noch so nichtigen Moment, welches dann in der Cloud verenden wird. Scheinbar senkt das ständige Knipsen und Dokumentieren auch unsere Gabe uns an Dinge zu erinnern.
Was ist anders ohne Smartphone?
Dieses praktische Internet. Weiß immer Bescheid. Maßgeschneidert. Beendet deine Sätze, zeigt dir welche Produkte dich noch interessiere könnte. Wer braucht noch seinen eigene Kopf, wenn man auf die Datenbank der Welt zugreifen kann? Doch was wenn genau das oft eine Begegnung ausmacht? Nicht genau bescheid zu wissen?
In den ersten Wochen bemerke ich abends im Bett, wie ich den Tag Revue passieren lasse. Wie ich an Gesprächsfetzen denke, Momenten nachspüre und mich einfach mehr wahrnehme und mitbekomme. Auch lernte ich wieder Langeweile und Momente von Richtungslosigkeit kennen.
Und ja, ich bin noch immer versucht, mir ein Smartphone anzuschaffen. Wenn mein Freund, der in der Krypto-Welt arbeitet in sein Handy schmunzelt und ich daneben sitze, oder wenn ich in der Bahn dann schnell eine Email schreiben will, wenn ich auf ein Scooter springen will und kein Handy in der Tasche habe, oder wenn ich mich leer und voll gleichzeitig fühle und mich gerne mit den kuratierten Meinungen anderer beschäftigen würde durch teilnahmsloses scrollen.
Ich halte mein Handy, wenn es hoch kommt, 20 Minuten am Tag in der Hand (außer ich habe mal ein längeres Telefongespräch). Ich sitze wie viele andere Menschen rund sieben Stunden am Tag vor dem Laptop. Und genau deshalb sind mir diese Stunden ohne Bildschirm so kostbar.
Nach einem Jahr ohne Smartphone habe ich glaube ich genug Distanz aufgebaut um mir eventuell wieder ein Smartphone als zweitTelefon kaufen zu können. Um dann zu entscheiden, welches ich mit mir raus nehmen will.
Für mich ist weder die Hingabe an noch die Abwendung von der Smartphone-Welt die endgültige Lösung. Der Abstand zum Smartphone hat mir dieses wieder als Werkzeug sehen lassen und es nicht als natürlichen Filter der Wahrnehmung hinzunehmen. Ich ziehe in Erwägung, mir wieder ein Smartphone für die Schreibtischschublade zu holen und dieses nur dann zu nehmen, wenn ich es brauche. So wie der Toaster ja auch nicht auf einen Spaziergang im Park dabei sein muss.
Weiterführende Lese- und Hörtipps:
Your undivided attention (Podcast von Tristan Harris und Aza Raskin)
Punkt. - Das Telefon welches ich benutze (mit viel Inspiration zum analogen Leben)
Das Ende des Individuum - Gaspard Koenig (Philosophische Gedanken zur künstlichen Intelligenz)